Energiedienstleistungen für Prosumer-Haushalte: Die nächste Stufe hat begonnen

Die Vision des vernetzten Prosumer-Haushalts, der als dezentraler Energieproduzent zur Energiewende und durch die Bereitstellung von Flexibilität zur Stabilisierung des Stromnetzes beiträgt, gibt es schon lange. Auch an der Umsetzung wird schon seit einigen Jahren gearbeitet und wichtige Grundlagen wurden gelegt, ohne jedoch die technologischen Möglichkeiten und das Marktpotenzial voll auszuschöpfen.

In den letzten 1 bis 2 Jahren hat sich in diesem Bereich jedoch viel getan, u.a. durch das Auftreten ambitionierter Startups wie 1Komma5° und die zunehmende Verbreitung steuerbarer Verbrauchseinrichtungen wie Wallboxen und Wärmepumpen, sodass aus der Vision zunehmend Wirklichkeit wird. Zentrale Aspekte des integrierten Prosumer-Angebots sind außerdem das Home Energy Management System (HEMS) und der Smart Meter.

Der Blick zurück

Bereits vor rund 13 Jahren hatten LichtBlick und VW mit ihrem „ZuhauseKraftwerk“ ein gasbefeuertes Mini-BHKW für Haushalte vorgestellt, das Wärme für den Haushalt und Strom zur Netzeinspeisung produzieren sollte. Der Clou dabei: Die Mini-Kraftwerke sollten im Schwarm agieren und dann vermehrt Strom produzieren, wenn im Netz wenig Strom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung stand. Aufgrund mangelnder Nachfrage – am Ende wurden nur etwa 1.500 Einheiten eingebaut – wurde das Angebot nach einigen Jahren eingestellt. Das LichtBlick-Konzept des „Schwarmstroms“ wurde 2014 später um Batteriespeicher erweitert, u.a. in Kooperation mit dem Batteriespeicher-Anbieter sonnen.

Im Jahr 2016 startete sonnen seine eigene Stromcommunity. Diese baute auf einem schnell wachsenden Pool von „sonnenBatterien“ auf, die das Unternehmen seit 2011 vertreibt und die maßgeblich zum Aufbau des Heimspeicher-Markts in Deutschland beigetragen haben. Dabei steht die Idee im Vordergrund, dass die Mitglieder der Community überschüssigen Solarstrom untereinander „teilen“ können – letztlich handelt es sich aber schlicht um ein Vertragskonstrukt, bei dem die Stromeinspeisung des Prosumers (mehr oder weniger transparent) mit der Reststromlieferung des Anbieters verrechnet wird.

Eine echte Vernetzung der Haushalte betreibt sonnen indessen seit 2018. In diesem Jahr wurde das virtuelle Kraftwerk des Unternehmens von Tennet für die Erbringung von Regelenergie präqualifiziert. Seit 2022 wird das virtuelle Kraftwerk, in dem laut sonnen einige 10.000 Heimspeicher vernetzt sind, in Kooperation mit dem Flexibilitätsvermarkter Esforin auch für die Stromvermarktung am Intraday-Markt genutzt.

Aktuelle Entwicklungen und Trends

LichtBlick, sonnen und ihre diversen Kooperationspartner haben mit ihren Pilotprojekten und Angeboten wichtige Grundlagen für die erweiterte Nutzung von Solarstrom und die Vernetzung von Prosumer-Haushalten geschaffen. Die Einführung von Heimspeichern war dabei ein erster Game-Changer. Ein weiterer ist die zunehmende Elektrifizierung der Mobilität und der Wärmebereitstellung. Hinzu kommt die Entwicklung weitestgehend ausgereifter Energiemanagement-Systeme für das Zuhause (HEMS – Home Energy Management Systems), die im Mittelpunkt der neuen, zunehmend integrierten Prosumer-Angebote stehen. Die damit entstehenden Möglichkeiten haben quasi die nächste Stufe im Bereich Energiedienstleistungen für Prosumer eingeläutet.

Vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Entwicklungen und Pläne auf Seiten wichtiger Anbieter auf dem Prosumer-Markt zu sehen:

  • 1Komma5°-CEO Philip Schröder formulierte jüngst in einem Interview seinen Kunden-Pitch: „Kaufen Sie nicht nur eine Solaranlage, sondern gleich das Gesamtpaket mit intelligenter Optimierung“. Was damit gemeint ist: Die Kunden können von dem erst 2021 gestarteten Startup mittlerweile neben PV-Anlagen und Batteriespeichern auch Wallboxen und Wärmepumpen einbauen lassen und alle diese Geräte vom Energiemanager „Heartbeat“ steuern lassen. Hinzu kommt eine Art dynamischer Stromtarif („Energy Trader“), der dafür sorgen soll, dass der Reststrom möglichst zu Zeiten günstiger Börsenstrompreise bezogen wird.

    Die nächsten Schritte will das Startup im Laufe dieses Jahres vollziehen. In Kooperation mit Solandeo sollen bei den Kunden zunächst bis zu 10.000 Smart Meter installiert werden. Damit soll einerseits die Grundlage für echte dynamische Tarife und mehr Transparenz für die Kunden bezüglich Energieverbrauch und -erzeugung geschaffen werden. Andererseits wird damit die Teilnahme der Kunden am Intraday-Handel vorbereitet, die ab dem vierten Quartal 2023 verfügbar sein soll. Die Flex-Vermarktung soll dabei Batteriespeicher, Wallboxen und Wärmepumpen umfassen. Ähnlich wie sonnen arbeitet 1Komma5° dafür mit Esforin zusammen.

  • sonnen hat indessen kürzlich bekanntgegeben, künftig auch Wärmepumpen in sein virtuelles Kraftwerk zu integrieren, das bis dato auf die Flexibilitäten von Batteriespeichern und Wallboxen zugegriffen hat. Wohl nicht ganz zufällig sagte sonnen in etwa zeitgleich zum Konkurrent 1Komma5° vor zwei Monaten, dass man zusammen mit Solandeo „weitere 10.000 intelligente Messsysteme“ in der sonnenCommunity installieren wolle. Dem Smart Meter-Rollout messen führende Marktteilnehmer im Prosumer-Geschäft somit eine große Bedeutung bei.

  • Ein Angebot zur Direktvermarktung hat kürzlich auch Enpal aufgelegt und bietet dabei auch den Smart Meter-Einbau an, sofern dieser nicht bereits im Zuge der PV-Installation erfolgt ist. Zum Start des Angebots wird den Kunden dabei in den ersten drei Jahren eine Mindestvergütung von 16 Cent/kWh garantiert, also eine Verdopplung der derzeitigen Einspeisevergütung. Enpal hat sein Angebot vor kurzem um Wärmepumpen erweitert und verfügt bereits über eine eigene Energiemanagement-Lösung zur Steuerung aller Prosumer-Komponenten. Man kann davon ausgehen, dass auch das Berliner Startup die Marktanbindung über kurz oder lang auf Wallboxen und Wärmepumpen ausdehnen will.

  • LichtBlick ist weiter im Prosumer-Geschäft aktiv und hat mit der ison GmbH vor kurzem eine Tochtergesellschaft gegründet, die dafür Lösungen (weiter-)entwickeln soll, sowohl für die Muttergesellschaft als auch als White Label für Drittunternehmen. In Kooperation mit mit dem US-Unternehmen Enphase Energy, das Wechselrichter und ein Heim-Energiemanagementsystem beisteuert, bietet ison ein „Energy-as-a-Service-Produkt“ an, das kürzlich auf der E-world vorgestellt wurde. Bei ihren laufenden Energiekosten sollen Haushalte damit bis zu 86 Prozent einsparen können.

    Dabei geht es wie bei 1Komma5° um ein Gesamtpaket zur finanziellen Optimierung von PV-Anlagen, Batteriespeichern, Wärmepumpen und Wallboxen, zu dem auch eine Energiemarktanbindung all dieser Komponenten gehört. LichtBlick spricht in diesem Zusammenhang von dynamischen Viertelstunden-Tarifen, die in Powercloud ERP verwaltet werden. Darüber hinaus findet offenbar auch eine aktive Vermarktung stattfinden, wie aus der Beschreibung der entsprechenden White Label-Lösung, die gemeinsam mit Kiwigrid entwickelt wird und ab 2024 verfügbar sein soll, hervorgeht. Dort ist von einer „Virtual-Utility-Provider-Lösung“ für lokales Energiemanagement, Direktvermarktung und Integration dynamischer Tarife die Rede, sowie von einem Marktschnittstellenanschluss für Spot- und Intraday-Handel.

    In den Worten von ison-Geschäftsführer Sebastian Mahlow ermöglicht die Lösung „die komplette Wertschöpfung von Installation über preisoptimierte Lastverschiebung bis zur Abrechnung dynamischer Tarife mit Smart Meter Technologie. Statt nur Photovoltaik-Anlagen, Speicher, Wallboxen oder Wärmepumpen zu verkaufen, können Energieversorger, Hersteller und Großhändler mit unserer Hilfe künftig dauerhafte Energielösungen für ihre Kund*innen anbieten. Das verspricht eine langfristige Kundenbindung sowie eine deutlich höhere Rendite der Anlage.“

  • Octopus Energy führt in Deutschland nach und Produkte ein, die im Heimatmarkt Großbritannien schon länger verfügbar und erprobt worden sind.
    Besonders auffällig war dabei der starke Fokus auf Wärmepumpen seit September 2022. Hier setzt das Unternehmen wie 1Komma5° auf den Aufbau umfangreicher eigener Installationskapazitäten. OE hat zudem Ambitionen im Bereich PV und Speicher, wo in absehbarer Zeit ein Komplettpaket aufgelegt werden soll. Interessant ist aber auch, dass OE seit kurzem allen seinen Stromkunden die Installation von Smart Metern anbietet. Auch hier ist – Sie haben es bestimmt erraten – Solandeo der durchführende Partner für die Installation und vermutlich auch den Messstellenbetrieb.

    Ähnlich wie andere Anbieter sieht OE den Smart Meter als Dreh- und Angelpunkt für Smarte Tarifangebote und mutmaßlich in Zukunft auch für weitere Services im Bereich Direktvermarktung, Regelenergievermarktung etc. Ein kürzlich als Betatest gestartetes Tarifangebot ist der „Fan Club“, den Kunden in der Nähe von Windparks nutzen können, an denen OE beteiligt ist. Bislang sind dies in Deutschland zwei Windparks in Brandenburg bzw. Rheinland-Pfalz. Dabei soll der Arbeitspreis des Kunden bei mäßiger Windgeschwindigkeit um 20 Prozent und bei höherer Windgeschwindigkeit (ab 6 m/s) um 50 Prozent reduziert werden. Die Teilnahme an dem Angebot setzt einen Smart Meter voraus.

    Es ist davon auszugehen, dass weitere smarte bzw. dynamische Tarife, von denen OE in Großbritannien bereits einige anbietet, demnächst auch in Deutschland folgen werden. Dabei zielt OE nicht nur, aber auch auf Prosumer ab, zumal sich dynamische Tarife bei Vorhandensein flexibler Lasten am meisten lohnen.

Dem Smart Meter-Rollout messen führende Marktteilnehmer im Prosumer-Geschäft eine große Bedeutung bei (Im Bild ein intelligentes Messsystem neben einem Ferraris-Zähler)

Der Blick nach vorne

Nach dem Blick in die Vergangenheit und Gegenwart des deutschen Prosumer-Geschäfts wollen wir auch einen Blick in die Zukunft wagen und die beobachteten Trends in Bezug auf ihre Relevanz für Energieversorger einordnen. Im Grunde ist die Zukunft bereits vorgezeichnet, da die oben beschriebenen Entwicklungen deutliche Trends widerspiegeln:

  • Die technologischen Mittel zur Vernetzung aller wichtigen Energieverbraucher und -erzeuger (in der Regel PV) innerhalb des Haushalts sowie mit dem Energiemarkt sind vorhanden und werden zunehmend in die Angebote führender Anbieter auf dem Prosumer-Markt integriert.
  • KI-basierte Software-Lösungen werden sich weiterentwickeln und die aus der Vernetzung entstehenden Chancen weiter ausdehnen, sodass Haushalte immer mehr von ihrem selbst produzierten Strom profitieren und so ihre laufenden Energiekosten senken können. Dasselbe gilt natürlich auch für andere Kundengruppen wie Gewerbe- und Industrie.
  • Der potenzielle Kundenkreis für solche Lösungen wird sich vergrößern, da sie, aufgrund zunehmender Konkurrenz und Nachfrage, günstiger werden und auch als Mietangebote zur Verfügung stehen. Sie werden somit nicht nur Besserverdienern zur Verfügung stehen, sondern der breiten Masse der Hauseigentümer. Aber auch für Mieter sind komplexere Prosumer-Lösungen möglich, etwa in Kombination mit Mieterstrommodellen, die in Richtung Wärmepumpen und Elektromobilität erweitert werden.
  • Der Gesetzgeber und die Netzbetreiber werden sich über kurz oder lang an diese Trends anpassen bzw. sie durch eigene Maßnahmen auch aktiv unterstützen, weil sie im Interesse der Energiewende und der Netzstabilität sind. Im Vergleich zu den Möglichkeiten komplexer Prosumer-Lösungen wird die Einspeisevergütung weiter an Bedeutung verlieren.
  • Angesichts der Komplexität der Lösungen steigt der Beratungsbedarf für die Kunden, wobei wohl nur für einen Teil der Kunden die Transparenz des Angebots entscheidend sein wird. Für viele wird eher zählen, wieviel laufende Energiekosten sie gemäß dem Angebot einsparen können und wie hoch die Anfangsinvestition bzw. der Mietpreis ist.

Was bedeutet dies nun für Energieversorger und Stadtwerke? Zunächst einmal zusätzliche Konkurrenz in Gestalt der oben genannten und weiterer neuer Anbieter. Wer bei einem solchen Anbieter ein Komplettpaket bucht, kann dem klassischen Energieversorger langfristig als Kunde verloren gehen – sowohl im Bereich Stromlieferung als auch für die ganze Bandbreite an potenziellen margenstarken Prosumer-Angeboten. Gleichzeitig werden die Kunden bei ihren (örtlichen) Versorgern zunehmend nach solchen Lösungen fragen.

Stadtwerke und Energieversorger müssen sich also über kurz oder lang intensiv mit dem Thema beschäftigen und haben genügend Anreize dies zu tun (siehe Absatz zum Marktpotenzial unten). Die Umsetzung eigener Lösungen ist sicherlich herausfordernd, aber auch für (kleinere) Stadtwerke möglich. Hilfe kann von externen White Label-Anbietern wie ison kommen. Eine andere Möglichkeit ist die Gründung eigener Tochtergesellschaften bzw. Kooperationsgesellschaften mit anderen (Kommunal-)Versorgern. Darüber hinaus kann der Einstieg in komplexere Prosumer-Lösungen auch anfangs mithilfe eines externen Kooperationspartners erfolgen, um dann nach und nach Eigenleistungen zu integrieren, sobald das interne Know-How vorhanden ist und die Rahmenbedingungen passen. Die Vorteile, die aus solchen Angeboten erwachsen können, liegen auf der Hand: hohe Margen, Cross- und Upselling-Chancen und der Aufbau von langfristigen Kundenbeziehungen, im Idealfall über mehrere Energiesektoren hinweg (Strom, Wärme und Mobilität).

Wie groß das bundesweite Marktpotenzial ist, unterstreicht u.a. der gestern veröffentlichte Prosumer-Report von LichtBlick und EUDP Research, der hier heruntergeladen werden kann. Die Autoren haben bspw. ermittelt, dass von 16,1 Mio. Ein- und Zweifamilienhäusern in Deutschland 11 Mio. wirtschaftlich zur Installation einer Photovoltaik-Anlage geeignet sind. Davon sind rund 2 Mio. bereits mit einer PV-Anlage ausgestattet. Im letzten Jahr, so der Report, wurden 53 Prozent der neugebauten Eigenheime mit Solarzellen ausgerüstet. Dabei hat der Einsatz von HEMS (Home Energy Management Systemen) gemäß einer EUPD-Umfrage zuletzt deutlich zugenommen – von 255.000  (2021) auf 703.000 Nutzer (2022). Das entspricht laut LichtBlick immer noch nur 6 Prozent des Potenzials im Bereich der Ein- und Zweifamilienhäuser.

Bei Bedarf unterstützen wir Sie gerne bei der Entwicklung einer passgenauen Strategie zum Eintritt in den Energiedienstleistungsmarkt, identifizieren geeignete Lösungen und Umsetzungspartner oder begleiten die Beteiligung oder Übernahme von Handwerksbetrieben o.ä. oder Startups. Kontaktieren Sie uns!

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