Regional und digital – ein Widerspruch?

Regionalität gilt für viele Stadtwerke immer noch als Alleinstellungsmerkmal, das die Kunden über die ein oder andere Unzulänglichkeit in anderen Bereichen hinwegsehen lässt. Aktuell bieten die neuen Regionalstromprodukte die Chance, neben den bisherigen Dimensionen „regionale Wertschöpfung“ und „regionale Präsenz“ (Kundencenter, Sponsoring, Daseinsfürsorge etc.) auch noch das Produkt selbst mit der Region zu verknüpfen. Die Kunden scheinen dies zumindest zu würdigen und wollen sogar für Strom aus der Region mehr zahlen als für den herkömmlichen Strommix.

Schützen diese Produkte und die sonstige regionale Verankerung aber langfristig vor Wettbewerbern, die mit ähnlichen Strategien unterwegs sind? Ist Regionalität der Faktor, der die Existenz von Stadtwerken langfristig sichern kann?

Nachdem sich in Supermärkten ein Trend zu immer mehr regionalen Lebensmitteln gezeigt hatte, hatten wir bereits im Energiemarktreport 2014 ein ganzes Kapitel der Frage „Ist regional das neue Öko?“ gewidmet. Das Ergebnis lautete in etwa, dass im Lebensmittelhandel durchaus regional und öko unabhängig voneinander existieren können, im Energiemarkt allerdings nicht.

Sechs Jahre später haben wir regionale Stromprodukte, obwohl es das Regionalnachweisregister offiziell noch nicht allzu lange gibt, bereits akzeptiert. Die Nachfrage ist hoch, hört man bei dem ein oder anderen Energieversorger, selbst wenn der Preis etwas höher ist als normal. Es ist deshalb davon auszugehen, dass in der nächsten Zeit noch viele Regionalstromtarife folgen werden.

Kann man aber als Stadtwerk nur auf Regionalität und physische Präsenz setzen und dafür die Digitalisierung erstmal hintanstellen? Im ersten Moment klingt die Frage fast ein wenig absurd, denn schließlich sollte doch die digitale Transformation– auch unabhängig von Corona – im Mittelpunkt einer jeden Unternehmensstrategie stehen. Dennoch lohnt es sich, das Thema zu vertiefen und zu überlegen, wie Regionalität und Digitalisierung sich gegenseitig bedingen.

Digitalisierung verbindet Menschen und Unternehmen

Als im Jahr 2000 die UMTS-Lizenzen versteigert wurden, fragte man sich, was die nächste Killerapplikation nach der SMS sein könnte. Eine mögliche Antwort auf diese Frage waren so genannte Location based services, also Dienstleistungen, die abhängig vom Standort des Nutzers angeboten und erbracht werden. Die Grundidee, dass ein Mensch mit seinem Handy an einem Laden vorbeikommt, per Push-Benachrichtigung ein Sonderangebot erhält und dann schnurstracks zum Kauf schreitet, war geboren. Bis etwas vergleichbares entstand, mussten allerdings erst noch Smartphones entwickelt und deutlich höhere Bandbreiten geschaffen werden.

Heute besteht ein großer Teil dessen, was wir im Internet, und vor allem am Smartphone tun, aus solchen Location based services. Wir suchen in der Umgebung nach Restaurants, lassen uns per Google Maps durch die Stadt navigieren, schauen nach, wann der nächste Bus fährt, buchen Tickets fürs Kino oder lokale Veranstaltungen. Wir nutzen Services wie Groupon, um Vergünstigungen bei lokalen Restaurants, Friseuren oder sonstigen Dienstleistern zu erhalten. Wir bestellen bei Lieferando Pizza, Paella oder Putenschnitzel von unserem bevorzugten Restaurant. Wir nutzen Facebook, WhatsApp, Instagram und weitere Social Media-Plattformen, um mit Menschen aus nah und fern in Kontakt zu bleiben.

Das Smartphone ist für viele zum zentralen Steuergerät geworden, das uns bei allen möglichen Aufgaben unterstützt und Kommunikation ermöglicht. Wer will kann damit sogar telefonieren. Das Smartphone überbrückt jede Distanz zwischen Menschen, bringt Unternehmen mit Kunden zusammen und

sammelt nebenbei alle möglichen Informationen, die von den App-Anbietern ausgewertet werden, um Kunden zielgenau anzusprechen.

Regionalität bedeutet Nähe und Erreichbarkeit

Und genau an dieser Stelle kommt der Faktor „Regionalität“ aus Stadtwerke-Sicht wieder zurück in die Diskussion. Regionalität drückt sich in Zukunft nämlich nicht zwangsläufig dadurch aus, dass man ein Kundencenter hat, das täglich geöffnet ist. Das mag auch weiterhin für bestimmte Zwecke nützlich sein, aber es ist für immer weniger Kunden relevant für die Entscheidung, ob sie bei einem Anbieter bleiben oder nicht.

Regionalität ist vielmehr zu verstehen als „Erreichbarkeit und Nähe“, und zwar nicht in physischer Form, sondern in jeglicher Form. Das bedeutet jetzt und in Zukunft vor allem auch in digitaler Form. Es geht darum, zu jeder beliebigen Zeit Bedürfnisse zu befriedigen und Kontakt aufnehmen zu können. Will ich am Samstag Abend um 23 Uhr den Stromversorger wechseln oder mich über eine PV-Anlage für mein Haus informieren, werde ich mich direkt im Internet auf die Suche machen. Dort finde ich dann Anbieter, Konfiguratoren, Vergleichsportale usw., über die ich in kürzester Zeit genau das Angebot erhalten, das ich möchte. Wenn Fragen offen bleiben, kann mir diese vielleicht der Chatbot des Unternehmens beantworten oder mir zumindest zusichern, dass mich jemand zurückruft oder am nächsten Werktag ein Mensch den begonnenen Chat übernimmt. Es kann sein, dass ich auf Facebook eine Anzeige für ein Energieprodukt oder eine Dienstleistung sehe und dann auf eine Landingpage gelenkt werde, wo ich vielleicht doch nicht kaufe. Der Anbieter weiß aber dann, dass ich mich dafür interessiert habe und vielleicht nur noch einen kleinen Impuls benötige, um abzuschließen und kann mich direkt mit einem passenden Angebot ansprechen. Es kann sein, dass ich mitten in der Nacht meinen Abschlag ändern möchte, weil ich die nächsten drei Monate beruflich im Ausland bin, und mit dem Smartphone auf mein Kundencenter zugreife. Scheitere ich dann beim Login daran, dass das Kundencenter per Smartphone nicht optimal funktioniert oder die Abschlagsänderung dort nicht möglich ist, wird das meine Zufriedenheit nicht steigern.

Ich erwarte vielmehr, dass dies problemlos funktioniert, da der digitale Kontakt mittlerweile eher der Standard, als die Ausnahme ist. In Zukunft werden solche digitalen Leistungen, die rund um die Uhr Nähe und Komfort schaffen, weiter zunehmen. Wie der neue Anbieter Tibber jetzt in Deutschland mit einem App-basierten Konzept versucht, ein geschlossenes Ökosystem für Energie und energienahe Dienstleistungen zu schaffen, haben wir schon beschrieben. Die eine App, die alles kann, wird und muss es wahrscheinlich auch nicht geben, aber die eine Plattform, die alle unsere vernetzten Geräte miteinander verbindet, z.B. per Sprachsteuerung, wird in Zukunft darüber mitentscheiden, welche Leistungen wir angeboten bekommen und welche wir in Anspruch nehmen. Die Nähe entsteht hier durch die andauernde Verfügbarkeit, sei es über das Smartphone, über Smart Speaker oder in Zukunft vielleicht auch über eine smarte Brille.

Stadtwerke können diese Nähe ebenso wie andere Versorger schaffen, indem sie entlang der Kundenbedürfnisse digitale Lösungen etablieren, die Komfort bieten und dem Kunden das Gefühl von Erreichbarkeit und Nähe bieten. Das ist keine Option, sondern ein Muss, um in Zukunft am Markt bestehen zu können. Stadtwerke haben am Ende den Vorteil, dass sie die physische Nähe ebenfalls anbieten und mit der Kombination aus lokalen und digitalen Erlebnissen einen Wettbewerbsvorteil generieren können. Dafür ist kein Stadtwerk zu klein. Innovationsfähigkeit hängt nicht so sehr von der Größe ab, sondern vom Willen. Fast jede Lösung lässt sich auch im Kleinen darstellen, wenn man es nur möchte.

Bei der Umsetzung unterstützen wir Sie gerne!

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